Körpermodifizierungen als Kult mit Tradition
"Flesh Tunnel" oder auch "Fleischtunnel" sind freiwillige Körpermodifizierungen, die auf eine Jahrhunderte alte Geschichte zurück blicken. Der Trend hat seine Tradition in südamerikanischen und afrikanischen Urvölkern. Sogar Inkas und Azteken modifizierten bereits ihre Körper. Über Rituale, wie mutwillig verlängerte Hälse, Teller in den Lippen oder geweitete Ohrlöcher drücken die einzelnen Kulturen Status aus oder nehmen Jugendliche in das Erwachsenen-Dasein auf. Sogar Buddha-Statuen und Büsten altägyptischer Könige verweisen auf die lange Tradition des heutigen Trends. Genauso lässt sich die traditionelle Modifizierung an den Moai-Steinstatuen auf den Osterinseln nachvollziehen. Die Steingebilde zeigen sowohl langgezogene Ohrläppchen, als auch Pflöcke im Ohr. Beides beweist die lange Tradition, auf die der heutige Trend des Flesh Tunnel zurückblicken darf.
Moderner Trend unabhängig von Herkunft und Alter
Vor etwa einem viertel Jahrhundert greift die Tradition der Körpermodifizierung auch auf die westliche Welt über. Von den USA aus hat sie sich nach Europa und Deutschland ausgebreitet. Innerhalb der Piercing-Szene hat sich die Modifizierung mittlerweile sogar zu einem eigenen Kult entwickelt. Flesh Tunnel zählen zu den häufigsten Modifizierungen und werden heutzutage unabhängig von Geschlecht und Nationalität von Menschen verschiedenen Alters und unterschiedlichster Lebenslagen getragen. Viele Träger empfinden den Schmuck im gedehnten Ohrloch als optisch schön. Einige identifizieren sich mit der Ursprungstradition und wieder andere sind einer von vielen Subkulturen zugehörig, in denen sich Flesh Tunnel als Trend etabliert haben. Der Körperschmuck im gedehnten "Fleischtunnel" drückt so mittlerweile verschiedenste Lebensgefühle aus und lässt seinen Trägern durch unterschiedliche Größen, Materialien und Designs viel Raum zum Ausdruck der eigenen Individualität. Neben dem Ohr dehnen einige Menschen heute übrigens auch Piercing-Löcher auf der Zunge oder der Lippe. Auch solche in der Nase werden heute häufig modifiziert. Der Flesh-Tunnel-Trend kennt dementsprechend wenig Grenzen.
Flesh Tunnel können bis zu 70 Millimeter weit sein
Um zum Flesh Tunnel zu gelangen, kann der Piercer des eigenen Vertrauens behilflich sein. Allerdings dehnen die meisten Menschen ihre Ohrlöcher heute selbst. Mithilfe von Expandern wird der Kanal nach Abheilen auf die zuvor bestimmte Größe geweitet. Sicheln, Taper, Claws, Spiralen und Teflonbänder eignen sich ebenso zur Dehnung. Wichtig ist, dass steril gearbeitet wird. Das Dehnwerkzeug muss daher regelmäßig gereinigt und desinfiziert werden. Bis ein Stichkanal am Ohr auf eine bestimmte Größe ausgedehnt ist, vergehen einige Monate. Um das Gewebe zu unterstützen, massiert man häufig Pflegeöle wie Jojoba-Öl ein. Pro Monat lässt sich so bis zu 0,5 Millimeter weit dehnen. Größere Dehnschritte sind nicht empfehlenswert, da das Gewebe dadurch bleibende Schäden nehmen kann. Nach geraumer Zeit erreichen Flesh Tunnel schließlich ein Ausmaß von 1,6 bis hin zu 70 Millimetern. Nur Löcher bis zwölf Millimeter können aber wieder zusammen wachsen, was die Entscheidung für eine Größe unter Umständen beeinflussen kann. Die gängige Größe für die Schmuckstücke liegt hierzulande etwa zwischen einem und 25 Millimetern.
Die Schmuckstücke gibt es in verschiedenen Materialien als Tubes, Plugs oder Schraubgewinde
Es gibt den Schmuck für Flesh Tunnel als Tubes oder zweiteilige Schmuckstücke mit Schraubgewinde. Tubes verschließt man an den Enden mit O-Ringen, die als ringförmige Dichtungselemente dienen. Sogenannte Plugs, auch Flared Tubes genannt, halten durch einen leicht erhöhten Außenrand wiederum von selbst im gedehnten Loch. Vor allem Einsteiger tragen aber häufiger Schmuckstücke mit Schraubgewinde, da sich diese Varianten besonders leicht einsetzen lassen. Noch vielfältiger als die Frage nach der richtigen Verschlussart ist die nach dem richtigen Material. Traditionell fertigte man die Schmuckstücke für Flesh Tunnel aus organischen Materialien wie Holz, Horn oder Knochen an. Wertvolle Edelmetalle wie Gold und Silber symbolisierten in der Regel noch höhere Macht und Stärke. Heutzutage tragen vor allem Männer gerne schlichten Flesh-Tunnel-Schmuck aus Edelstahl, das beispielsweise in silberner oder schwarzer Optik zu haben ist. Frauen entscheiden sich dagegen immer häufiger für auffällig farbigen Kunststoff-Schmuck, der Schmucksteine oder Motive trägt. Neben Kunststoff sind mittlerweile aber auch Acryl und Silikon beliebte Materialien. Über die Frage nach dem empfehlenswertesten Stoff lässt sich dementsprechend streiten, denn jede dieser Varianten bietet ihre Vor- und Nachteile. Für welchen Stoff, welche Form, welche Farbe und welche Verschlussart man sich entscheidet, ist letztlich vor allem vom eigenen Geschmack abhängig. Eine kleine Materialskunde kann bei der Auswahl trotzdem hilfreich sein.
Kleine Materialskunde für Flesh Tunnel Schmuck
Chirurgenstahl 316 L hat sich als Material für Piercings bewährt. Auch hinsichtlich Flesh Tunnel bleibt der robuste, preiswerte und leicht zu polierende Stahl ein Materialklassiker, der in Sachen schlichte und edle Optik punktet. Durch die enorm glatte Oberfläche sind Schmuckstücke aus Chirurgenstahl höchst hygienisch und erzeugen im geweiteten Piercingloch außerdem wenig Reibung. Da Chirurgenstahl aber ein relativ hohes Gewicht aufweist, entscheidet man sich mittlerweile immer häufiger dagegen. Das deutlich leichtere Titan zählt zu den hochwertigsten Materialsvarianten überhaupt. Da sich Volltitan-Stücke aber verformen würden, ist Titan-Schmuck in der Regel nur mit einer Titanlegierung versehen. Verglichen mit anderen Materialien ist diese Legierung leider äußerst kostspielig, da die Gewinnung des Materials enorm zeitintensiv und kostenaufwändig ist. Preiswerter sind Kunststoff- und Acryl-Stücke. Sie bieten außerdem den größten Variantenreichtum und sind durch ihre glatte Oberfläche kaum Angriffsfläche für Bakterien. Durch ihre Nickelfreiheit eignen sich diese beiden Varianten am besten für Allergiker. So widerstandsfähig wie Titan oder Chirurgenstahl sind Acryl und Kunststoff aber nicht. Bei der Reinigung mit aggressiven Reinigern verlieren sie beispielsweise häufig ihre Farbe. Eine ebenso nickelfreie und hygienische Variante, wie Acryl und Kunststoff, sind Silikon-Schmuckstücke, die durch ihre hohe Elastizität außerdem enormen Tragekomfort bieten. Silikon ist unter anderem als "glow in the dark" erhältlich, was den Flesh Tunnel zu einem besonderen Hingucker werden lässt. Unglücklicherweise ist das Material nicht atmungsaktiv. Das bereitet vor allem in der Heilungsphase des Lochs Probleme, sodass man für den Ersteinsatz eines der anderen Materialien wählen sollte. Atmungsaktiv sind demgegenüber natürliche Materialien wie Holz. Teakholz und Krodil-Holz sind darunter die häufigsten Varianten. Beide haben kaum Gewicht und sind durch ihre individuelle Maserung in jedem Fall Einzelstücke. Diese Vorteile bieten auch die Materialien Knochen und Horn. Beide Varianten sind leicht formbar und gleichzeitig noch widerstandsfähiger als Holz. Durch ihre organische Basis führen sie im Flesh Tunnel so gut wie nie zu Hautreizungen. Allerdings muss der Träger organischen Schmuck noch häufiger reinigen, da es sonst zu Geruchsbildung kommen kann.